Farbphilosophie in Architektur und Design – Teil 2 (Ein Ausflug ins Grüne)

Wir knüpfen an Teil I an, in dem wir die prominenteste Farbe der Natur vorgestellt haben: Grün. Keiner kann behaupten, dass alle Grüntöne dieselbe Wirkung haben. Man kann nicht über Farbphilosophie sprechen, ohne den Einfluss von Helligkeit und Dunkelheit einzubeziehen – dabei kommt es insbesondere auf ihre Verhältnismässigkeit an. Wenn zum Beispiel zwei Grüntöne nebeneinander verwendet werden und beide besitzen die Gleichen vis-à-vis hell-dunkel-Qualitäten, dann halten diese visuell das gleiche Gewicht, was wiederum oft fad und uninteressant wirkt. Visuelles Interesse kann nur erzeugt werden, wenn eine Bandbreite von hell/dunkel-Intensitäten der Farben benutzt wird, genau wie bei Le Corbusiers Farbsystem. Seine Architektonische Polychromie stellt ein absolutes Meisterwerk dar. Es beinhaltet 63 Farben (davon neun Grüntöne), alle davon harmonisch und in höchstem Masse architektonisch.

Es gibt eine Fülle von Herangehensweisen, um Farbe zu analysieren: betrachtet man historische, kulturelle und soziale Interpretationen von Farbe, stellen diese sehr interessante Ausgangspunkte dar. Jeder professionelle Designer, der Farbe in seine Entwürfe integriert, wird bestätigen, dass Überzeugungskraft letztendlich das entscheidende Ziel ist – oft so entscheidend wie 90% des gesamten Designs: den Kunden überzeugen das Richtige zu tun, während er gleichzeitig eine fundierte Entscheidung trifft.

Im Marketing steht Grün symbolisch in Bezug auf die Umwelt, und die Verwendung des richtigen Grüntons erzeugt eine optische Lebendigkeit. Viele Kulturen verbinden Grün mit Glück – Kleeblätter, die Farbe von Geld in vielen Nationen, und grün als “los” auf Ampeln, Starbucks, Spotify, Whatsapp, die Liste ist endlos. Von sanftem leichtem Grün über Chartreuse zu Moosgrün bis hin zu tiefstem Immergrün, alle erwecken das Gefühl von holistischer und harmonischer Vitalität. Le Corbusier erkannte die Verbindung zwischen Grün und seinen harmonischen Qualitäten bereits lange zuvor in den 1920er Jahren.

Das wahrscheinlich ikonischste von Le Corbusiers Werken ist die Villa Savoye, in Poissy, Frankreich, eines der wichtigsten Bauwerke des 20. Jahrhunderts. Hier hat Le Corbusier sein Architekturmanifest “Fünf Punkte zu einer neuen Architektur” zum ersten Mal angewandt. Dabei hat er grün ausgesprochen raffiniert in Villa Savoye eingesetzt: Im Erdgeschoss (Süd- und Ost-Teile) strich er die geschwungenen einfahrbaren Garagentore und angrenzenden Wände in 32040 vert anglaise und erweckte damit die Illusion, die Villa schwebe über dem Boden, ohne dabei jedoch von der umgebenden Landschaft abzulenken. Es lässt sich nur erahnen, wie spektakulär der Anblick dieses «schwebenden Meisterwerks» bei Ankunft in einer Limousine mit Chauffeur gewesen sein muss, bevor man schliesslich selbst Teil des Designs wurde, während das Auto um und dann unter der Villa hindurch fuhr, zwischen den Säulen hindurch und in das Gebäude selbst. Der Gast stieg dann vor dem gewölbten, gläsernen Eingang aus; der Chauffeur fuhr einen Bogen, bevor er das Auto unter der Villa schliesslich abgestellte, woraufhin die grünen ausfahrbaren Tore wie durch Magie geschlossen um das Auto zu verbergen.

Le Corbusier bestand darauf, die umgebende Natur durch dieses Gebäude nicht zu beinträchtigen. Die Einbeziehung von Dachterrassen war ein kluger Schachzug, um die Natur zu ersetzen, die durch Gebäudes verdrängt wurde. Auch kreierte Le Corbusier einen «grünen Raum im Himmel» auf der Dachterasse und wiederholte so das 32040 vert anglaise vom Erdgeschoss. Ein weiteres aussergewöhnliches Detail der Dachterrasse spiegelt ebenfalls Le Corbusiers Liebe zur Natur wieder: am Ende der Rampe zur Terrasse befindet sich ein unverglastes Fenster, durch das man die Schönheit der natürlichen Umwelt bewundern kann.

Le Corbusier war ohne Zweifel ein Pionier in der naturnahen Designbewegung. Die Tatsache, dass in den 63 Farben 9 verschiedene Grüntöne enthalten sind, ist kein Zufall: basierend auf der Inspiration aus der Natur sind alle Farben harmonisch und können mühelos mit jeder anderen Farbe der Polychromie Architecturale kombiniert werden.

„Farbe ist … Auslöser starker Wirkungen. Farbe ist ein Faktor unserer Existenz.“ Le Corbusier.

Jede Farbe hat auch negative Assoziationen: für Grün sind dies Krankheit, Gift oder Verderb - hauptsächlich verbunden mit stumpfen Grün, wie das von Oliven. Sich selbst mit solch stumpfen Grüntönen zu umgeben kann negative Aspekte in der eigenen Persönlichkeit widerspiegeln. Viele südamerikanische Länder glauben, dass Grün den Tod symbolisiert, wohingegen afrikanische Länder Grün in ihrer Nationalflagge haben und damit die reichhaltige Natur des Kontinents repräsentieren. Global betrachtet, mit der universellen Beliebtheit von allem Natürlichen und der Recycling- und Nachhaltigkeitsbewegung, hat Grün eine beträchtliche Wiedergeburt erlebt: Grün wirkt energetisierend, verjüngend und mit seiner Beziehung zu neuem Leben regenerierend – fast wie eine natürliche Medizin.

Lesen Sie weitere spannende Artikel :



Kommentare

Keine Kommentare


Das könnte Sie auch interessieren