Le Corbusiers Wohneinheit ‹Typ Berlin› – ein Dialog zwischen Gebäude, Mensch und Farbe

Der autonom funktionierende doppelgeschossige Apartmentblock im Stil des weltweit berühmten Wohnhaus-Typ ‹Unité d’Habitation› in Berlin-Charlottenburg unterscheidet sich in manchen architektonischen Besonderheiten von seinen Schwestern in Frankreich. So war die deutsche Bauordnung gegen die ursprüngliche Deckenhöhe, den Gemeinschaftsplatz auf der Dachterrasse und auch die berühmten Brise-Soleil fehlen. Nun, zum 60-jährigen Jubiläum entwickelte die Pariser Künstlerin Florence Cosnefroy, ein Projekt mit Le Corbusiers Farbenklaviaturen um einen Brückenschlag von Frankreich nach Deutschland zu unternehmen. ‹Farbdialog›: Der Dialog zwischen den Ländern, zwischen den Menschen und zwischen Farbe.


Farbe, Mensch und Beton – Ein Dialog

 

Die Pariser Künstlerin Florence Cosnefroy, hat in den vergangenen Jahren diverse Ausstellungen an verschiedenen Standorten von Gebäuden Le Corbusiers mit Bezug auf dessen Polychromie Architecturale, u.a. in Fortaleza Brazil, Paris, Marseille und Rezé realisiert.

 

Zu ihrer neusten Installation erklärt Cosnefroy: «Auf den Fenstern des ‹Waschhauses› sind transparente Farbfolien angebracht worden, welche nach den farbigen Diagonalen der Loggias ausgerichtet sind, ich habe die blaue und rote Diagonale sozusagen nach unten hin verlängert. Da Gelb an sehr vielen Loggien zu sehen ist, habe ich mich entschieden diese Farbe ebenfalls zu verwenden. Dadurch nimmt die Gestaltung von Fensterfronten im Außenbereich Bezug auf die markanten diagonalen Farbflächen der Fassade und bildet so den Dialog. Die dem Gebäude hinzugefügte Glashauskonstruktion des heutigen sogenannten Waschhauses ist gänzlich von dem Hauptgebäude umschlossen und stellt einen Ort der Begegnung dar und funktioniert als eine Art Bindeglied für die Bewohnerschaft.» Das Waschhaus, welches zwischen vier Pilotis gebaut ist und die gesamte Tiefe des Gebäudes einnimmt, war damals noch die Heiz-Kraft-Zentrale. Im Foyer werden auf großformatigen Farbflächen Ausschnitte aus Interviews mit Bewohnern und deren Assoziationen zu Farben präsentiert. Und darunter sind auch einige von Bewohnern, die schon bereits seit der Eröffnung 1958 leben.


«Ich freue mich, dass wir die Gelegenheit haben uns im Geiste der Freundschaft untereinander auszutauschen, das ist der wahre Geist des Farbdialogs.»

 

- Florence Cosnefroy, Künstlerin -


Die Künstlerin ist vom Mehrwert der Farbe überzeugt: Sei es ein Grün gestrichenes Wohnzimmer, das die Verlängerung zum angrenzenden Garten bildet oder das Gefühl von Beruhigung, Energie oder Freude. «Farbe beeinflusst den Raum physisch und wirkt sich auf die menschliche Psyche aus, so sind die Möglichkeiten groß, die sich einem in der Farbgestaltung ergeben. Ich persönlich mag keine Muster, denn die Dynamik und Vielfalt einer eintönigen Farbe kann bereits durch simples Licht und Schattenspiel zum Vorschein kommen. Außerdem ist sie vorteilhaft und effizient in der Architektur und im Design. Deswegen verwende ich für meine kreative Arbeit auch so gerne das Farbsystem von Le Corbusier, das neben seinen matten Farben und den harmonischen Kombinationen auch zeitlos ist. Die Polychromie Architecturale ist anders als jede andere Farbentheorie und die historische Bedeutung macht es für Architekten und Designern sehr attraktiv mit den Le Corbusier Farben zu arbeiten.»

 

Le Corbusiers ‹Unité d'Habitation› Typ Berlin 

 

Im Rahmen der internationalen Bauausstellung Interbau wurde das Berliner Corbusierhaus 1957 als sozialer Wohnungsbau innerhalb von eineinhalb Jahren errichtet und im darauffolgenden Jahr eingeweiht. Noch während der Bauphase musste sich Le Corbusier mit dem Abgeordnetenhaus von Berlin in vielen Diskussionen auseinandersetzen, da nach deren Meinung eine Verletzung der Deutschen Bauordnung stattfand.


«Die Pläne für die Wohneinheit [...] habe ich mit Leidenschaft und Ernst äußerst sorgfältig und harmonisch erarbeitet, und ich kann behaupten, daß heute ein architektonisches Kunstwerk auf dem olympischen Hügel Berlins stünde, wenn meine Pläne in ihrem ganzen Umfang hätten realisiert werden können.»

 

- Le Corbusier -


 

So wurde zum großen Missfallen des Architekten die Raumhöhe der insgesamt 530 Wohnungen von 2,26 m (eine Modulormaße, welche bei sonst allen Unité d'Habitations umgesetzt wurde) auf 2,50 m heraufgesetzt. Es fehlt die Brise Soleil an den Loggias, die sonst übliche Dachterrasse und die Einkaufsstraße – sind dies doch die einzigen Orte zur Kommunikation der Gemeinschaft. Die Bewohner konnten nur das Foyer als Gemeinschaftsraum nutzen. Weiterhin sollte der Bau für Witwen, Junggesellen und kinderlose Paare errichtet werden, statt den Ursprungsgedanken einer jeden Unité zu verfolgen, mehrköpfige Familien einziehen zu lassen.

 

Doch konnte Le Corbusier die ihm wichtigsten Merkmale umsetzten. Unteranderem der Gedanke: «Bewohner haben gleichwohl Anteil an den ‹Bedingungen der Natur› – Sonne, Freiraum, Grün. Das ist die moderne Stadt: Unter der Sonne, im weiten freien Raum, inmitten von Grün.»
Und so scheint sie auch wenn man von einem Balkon der oberen Straßen blickt. Im Osten die gesamte Berliner Skyline, im Westen der scheinbar unendliche Grunewald. Gleichwohl ob im Glanz der Morgen- oder Abendsonne, der Betrachter fühlt sich tatsächlich frei und leicht. 

 

Farbgestaltung im Berliner Corbusierhaus

Wie in jeder Unité d'Habitation (UH) üblich, wählte Le Corbusier Farben für das Foyer und entschied die die farbliche Gestaltung der Innenstraßen und Treppenhäuser bis hin zu verschiedenfarbigen Wohnungstüren, die dem Mieter die optische Orientierung erleichtern sollten. Heutzutage sind nur noch die Foyer-Elemente und die Türen der Straßen koloriert.

 

Das einzigartige Merkmal jeder UH sind jedoch die farbigen Wände und Decken der einzelnen Loggien. Doch unterscheiden sich die in Berlin von denen der anderen Unités in Form und Farbwahl. So verlangte Le Corbusier ein ‹absolutes› Schwarz, eine Farbe, die damals völlig neu bei der Farbgestaltung von Fassaden gewesen ist, jedoch den grafischen Aspekt der Fassadengestaltung verstärkt.

 

Florence Cosnefroy fand im Archiv der Fondation Le Corbusier Notizen, die belegen, dass der Architekt mit Absicht eine ausgesprochen visuelle Fassade in Berlin verwirklicht haben wollte, um somit von der tatsächlichen Realisierung der Fenstersituation abzulenken, die nicht seinen Vorgaben entsprach. Denn hier führte das Fehlen der Brise-Soleil Elemente in den Loggien sowie die Anlage von Fensterbänder im Obergeschoß zu frontal sichtbaren Wandflächen. Für diese entwarf Le Corbusier ein Farbkonzept mit abgeschrägten Farbflächen, um die Monotonie in der Fassadenansicht zu verhindern und die Augen von den architektonische Abweichungen abzulenken. 

 

Ob es Le Corbusiers Absicht war oder nicht, doch die dunklen Diagonalen der Loggien haben noch einen weiteren Effekt, wie ein Bewohner der Wohnmaschine erzählt: «Als wir auf einem Foto unsere Loggia sahen, konnten wir nicht erkennen, ob das schwarzen Dreieck ein Schatten oder Teil der Farbgestaltung war. Die diagonalen Linien setzen die schattierten Formen vollständig fort. Die Muster verändern sich entsprechend der Tageszeit.» Durch die Aneinanderreihung der farbigen geometrischen Formen spielt Le Corbusier mit Licht und Schatten und schuf so eine Impression des Schattenfalls der fehlenden Brise-Soleil, die bei sonnigen Wetter bestaunt werden kann. Die Kombination von leuchtenden, kräftigen Farben, zusammen mit den grafischen Elementen – all das verleiht dem Berliner Corbusierhaus eine einmalige ästhetische Qualität und das wissen auch die Bewohner zu schätzen, denen Farbe sehr wichtig geworden ist seitdem sie in dem Gebäude wohnen.

Im Rahmen der Ausstellung sprachen insgesamt 24 Interviewte Bewohner über ihre Assoziationen zur Farbe ihrer Loggia. Für den einen absorbiert das Rot die Aggression in der Wohnung, für den anderen ist das Rosa-leuchten des rohen Betons im Sonnenuntergang nahezu magisch. «Die Farbe begleitet einen vom Foyer, durch die Straßen, in die Wohnung hinein und hinaus auf die Loggia. Die Verbindung aus Beton und lebendigen Farben verzaubern mich – besonders in Kombination mit dem warmen Rot. Die Fassade erinnert mich an das Spielzeug meiner Kindheit: Holzplättchen in geometrischen Formen und lebhaften Farben.

Das Farbspiel ist jeden Tag anders.» Eine Dame, welche in der ersten Straße (1.OG) wohnt, hat die Wohnzimmerwand die an die Loggia grenzt im gleichen hellgrün gestrichen, um so eine Verlängerung des Parks bzw. der Bäume zu schaffen. Die Farbe erinnert sie an die jungen Triebe der Bäume die sie umgeben. Dass Farbe auch ein Gefühl wie ‹Heimweh› erschaffen kann, erzählt dieser Mann: «Unsere Loggia ist Gelb. Als wir uns das Apartment an einem grauen Wintertag ansahen, erstrahlte das gesamte Interieur in einem warmen Lichtschein. Ich bin Texaner und vermisse die Sonne im winterlichen Berlin sehr, doch die Farbe an meiner Loggia ist ein großer Mehrwert für mich, ich fühle mich sehr wohl!»


Farbdialog von Florence Cosnefroy 

Die Installation ist noch bis 30. September in der Unité d’Habitation, in Berlin-Charlottenburg zu besichtigen. Die Ausstellungsteile befinden sich – eintrittsfrei – in den öffentlich zugänglichen Bereichen des Corbusierhauses. Die Ausstellung ist täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet:

 

Unité d'Habitation "Typ Berlin"
Flatowallee 16
14055 Berlin

 

Photography Copyright
© Florence Cosnefroy, Farbdialog - Corbusierhaus, Berlin / FLC-ADAGP
© Les Couleurs Suisse
© Bärbel Högner

 



Kommentare

Keine Kommentare

Kommentar schreiben

* Diese Felder sind erforderlich

Das könnte Sie auch interessieren