Farbphilosophie in Architektur und Design – Grau (Eine Geschichte nach Dorian Gray)

Grau ist heutzutage eine der am weitesten verbreiteten neutralen Farben, mit wahrscheinlich mehr dunklen und hellen Nuancen als jede andere Neutralfarbe. Anders als Pastelltöne, dient Grau vor allem als Hintergrundfarbe, da seine zurückhaltende Eleganz die Qualitäten anderer umgebender Farben aufnimmt. Grau ist bereits seit Jahrhunderten beliebt und der Trend von Grau im Wohnraumdesign scheint bis heute nicht abzuflachen. Grau ist der Dorian Gray der Neutralfarben – wobei die zeitlose äussere Schönheit die innere Tugend wiederspiegelt, nicht die wiederkehrende negative Referenz Dorian Greys Verzweiflung hinsichtlich Perfektion!

Neutralfarben sind gedämpfte Töne deren Echo in der Natur zu finden ist: Stellen Sie sich natürlichen Felsen, Stein, Sand, Erde und einen Haufen Kieselsteine, aufgetürmt an einem verlassenen Strand, vor. Sehen Sie vor Ihrem inneren Auge, wie die achromatischen Töne hellere Farben ausgleichen und wie leicht sie sich zu einer harmonischen Kombination vermischen, ähnlich wie geologische Gesteinsschichten aus der Urzeit.  
Die Neutralität von Grau bedeutet, dass es ereignislos scheint, keinerlei Aufmerksamkeit auf sich zieht und einen starken Sinn des Da-Seins erzeugt. Viele Menschen haben das Gefühl, dass die Verwendung von Grau, ganz egal ob in Kleidung, in Möbeln, Wandfarbe, Stoff oder sonstiges, einen Sinn von Anonymität erzeugen kann, sich loslösend von allen und allem: Sich einhüllen in grau und sicher fühlen.
Grau kann eine Farbe sein, welche Trost, Verlässlichkeit und Komfort vermittelt, was immer auch sonst im Leben parallel passiert. Über einen längeren Zeitraum kann Grau jedoch auch erschöpfen, und einen müde und emotional verstimmt zurücklassen.

Alle Farben aus Le Corbusiers Polychromie Architecturale sind in gewisser Form in der Natur wiederzufinden, womit sich erklärt, warum die Farben auf so selbstverständliche Weise zusammenpassen – seine Grautöne sind dabei keine Ausnahme. Mit der breiten Auswahl an warmen und kalten Grautönen gehen oft facettenreiche Kombinationen einher, wie beispielsweise wärmere Graunuancen mit Pink, Grün oder Brauntönen. Kühle Grautöne können prinzipiell eher als elegant und anspruchsvoll beschrieben werden, sie basieren auf Weiss, Blau oder Schwarz.

Grau kreiert eine ruhige, zeitgenössische Stimmung und nährt dabei die Seele. Es ist eine friedvolle Farbe, welche elegant und zeitlos ist und ideal zum Hervorheben architektonischer Besonderheiten geeignet ist. Die Tatsache, dass sie so schlicht und unspektakulär ist, führt dazu, dass sie so überraschend gut in so vielen (oft unerwarteten) Farbkombinationen funktioniert. 

Betrachten wir einige melodische Kombinationen: das klassische Grau und Blau – grundsätzlich passt ein kühles Grau am besten zu einem kühlen Blau und ebenso ein warmes Grau zu einem warmen Blau. Jedoch gibt es auch unerwartete Kombinationen, wie etwa Le Corbusiers 32013 Gris clair 31 und 32030 Bleu Céruléen 31, ein reichhaltiges, dynamisches Blau, welches Farbe anzieht und sehr präsent ist, ohne jedoch die luftige Leichtigkeit des Gris clair 31 zu übermannen; stattdessen fügt es Neugierde und Balance hinzu.

Grau und Gelb stellt eine weitere spektakuläre Verbindung dar: Die Fröhlichkeit eines hellen Gelbtons (z.B. 4320W Le jaune vif) mischt jedem Grau Energie bei, ohne es zu überwältigen; ebenso erscheinen 4320L Ocre jaune clair und 4320U Gris foncé 59 sehr elegant zusammen, besonders wenn man ausserdem das zeitgenössische 4320E noir d’ivoire hinzugibt.

Es herrscht viel Symbolkraft in Grau: Stellen Sie sich die sterbende Glut eines Lagerfeuers vor, den grauen Rauch, der in der Dämmerung aufsteigt, zusammen mit der silber-grauen Asche und dem pudrigen Staub am Boden. Sobald ein Windzug aufkommt, kann die Glut kreisförmig nach oben aufsteigen, als würde sie tanzen – welch stimmungsvolles Bild. Der Gedanke kommt auf, was zuvor war – und führt den Gedanken weiter an den bei Beerdigungen genutzte Ausdruck «Asche zu Asche, Staub zu Staub.» Grau kann sich auch sehr melancholisch, ernüchternd und bedrückend anfühlen.

In der Architektur ist Grau weit verbreitet, insbesondere in urbanen Umgebungen. Der Grund dafür ist, dass die meisten Baumaterialien vorherrschend grau sind: Beton, Stahl und reflektierendes Glas. Die Kombination der genannten Elemente erschaffen eine graue, urbane Collage. Die beeindruckende brutalistische Architektur des Barbican Center in London, das 2001 unter Denkmalschutz gestellt wurde, ist unsterblich, genau wie Dorian Gray, dessen Seele im Gemälde gefangen war. Es gibt so viele Parallelen zwischen Oscar Wildes’s berühmten Werk und dem Farbton Grau: Grau und Grey altern nie, sie sind klassisch und zeitlos, für immer jung, von vielen begehrt und sie gelten extravagant.

“Die Natur des Menschen ist nicht schwarz und weiss, sondern schwarz und grau.” – Graham Greene

Zusammenfassend lässt sich sagen: Grau repräsentiert Ruhe, Gehobenheit, Weisheit und ist allumfassend architektonisch. Grau ist ein Neutralton, seine implizite Abwesenheit von Farbe ist einer seiner Hauptvorteile, ebenso wie seine Eignung als ideale Hintergrundfarbe innerhalb eines Arrangements bunterer Farben. Man findet es sowohl in den warmen als auch kalten Spektren, und mit dem Verständnis der verschiedenen Effekte auf die menschliche Psyche, kann die richtige Auswahl der Grautöne schnell gefunden werden. Also umarmen Sie ihr inneres Grau, sehen Sie Grau als eine Symphonie: beachten Sie dabei immer die psychologischen Eigenschaften und wie es im Einklang mit anderen Farben in einer Komposition harmoniert.

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