Farbphilosophie in Architektur und Design – 1. Teil (Eine grüne Erzählung)

Einigen von uns ist das Akronym ROYGBIV als eine englische Abkürzung und Erinnerungsstütze für die Reihenfolge der Regenbogenfarben bekannt (Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo und Violett) und die meisten sind ausserdem mit dem sogenannten Farbkreis vertraut – stammend aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, als Sir Isaac Newton’s Untersuchungen des weissen Lichts ihn zur Entdeckung des sichtbaren Lichtspektrums führten. Und doch verblüfft die Erwähnung der Farbphilosophie die Menschen immer wieder: Viele wissen zu unterscheiden zwischen warmen und kalten sowie primären und sekundären Farben, doch oft hört ihr Wissen hier auf.

Farbe ist ein beachtlicher Stimmungsträger, emotional und subjektiv: sie kann Freude und Glück auf der einen Seite, und Traurigkeit oder sogar Verzweiflung auf der anderen Seite hervorrufen. Farbe ist damit häufig das volatilste Element eines jeden Projekts; die Interpretation der Farbtheorie ermöglicht es professionellen Designern, die wahren Bedürfnisse des Kunden anzusprechen und zu interpretieren, was diese fühlen wollen: Die Nutzung von Farbe stellt ein architektonisches Element in fast jedem Raum dar, indem es das Gefühl eines Raumes beeinflusst.   

“Farbe – ein Werkzeug der Architektur so mächtig wie der Grundriss und der Querschnitt. Oder besser als das: Polychromie, die Basis des Grundriss und Querschnitts.” (Le Corbusier)

Es gibt eine Fülle an Ansätzen, um Farbe zu analysieren: betrachtet man historische, kulturelle und soziale Interpretationen von Farbe, stellen diese sehr interessante Ausgangspunkte dar. Jeder professionelle Designer, der Farbe in seine Entwürfe integriert, wird bestätigen, dass Überzeugungskraft letztendlich das entscheidende Ziel ist – oft so entscheidend wie 90% des gesamten Designs: dem Kunden überzeugen das Richtige zu tun und eine fundierte Entscheidung zu treffen.

Sprechen wir über die Farbe Grün – der am weitesten verbreitete Farbton – bestehend aus zwei gleichen Teilen Gelb und Blau.

Grün ist die Farbe der Natur, des Frühlings: es verweist auf die Natur und Umwelt und symbolisiert Fruchtbarkeit, Wachstum und Erneuerung. Innerhalb des vergangenen Jahres wurde dem biophilen Design viel Aufmerksamkeit geschenkt und wir haben erkannt, dass unsere inhärente Verbindung zur Natur therapeutisch wirkt und ein Gefühl von Raum kreiert; dieser Farbton zeitgleich auch unsere Verbindung zur Natur verstärkt und Gefühle von Balance, Heilung und Energie hervorruft – kurz gesagt, Grün wirkt wie ein Elixier. Le Corbusiers architektonische Polychromie beinhaltet 9 Grün-Nuancen: in verschiedenen Abstufungen wirken sie auf fast jeden ansprechend und befinden sich interessanterweise fast im Zentrum der Farbpalette von 1931.

Le Corbusiers Cité Frugès, in Pessac, Frankreich (zwischen 1924 und 1926 erbaut), eine experimentelle Entwicklung im Sozialwohnungswesen (bestehend aus 51 verstärkten Beton-Gebäuden), wurde als revolutionär angesehen. Le Corbusier plante eine Gartenstadt zu kreieren, um so die Gesundheit und das Wohlbefinden der Bewohner zu fördern (ein früher Verfechter des biophilen Designs). Auch vertrat er die Ansicht, dass es eine Priorität sein müsse, natürliche Landschaften in Wohnräume zu integrieren, mit dem Ziel der Stimmungsaufhellung der Bewohner. Wenig überraschend ist Grün eine prominente Aussenfarbe in Cité Frugès.

In Bild 3 lässt sich erkennen, wie Le Corbusier wohlüberlegt die Polychromie an den Aussenfassaden einsetzte. Bei genauerer Betrachtung findet man das Haus auf Bild 2 in der zweiten Reihe von links diagonal oben wieder.

Le Corbusier merkte an: „Es war notwendig sich der Farbe zuzuwenden, um gewissermassen für eine Auflockerung zu sorgen und insbesondere die Häuser voneinander zu trennen, um so wiederum Perspektiven zu schaffen sowie die Kohäsion der zu nahen Wände zu durchbrechen.” Laut Corbusier sollten sich die Arbeiter durch die Farben nah der Natur und energetisiert fühlen. Trotz der Tatsache, dass einige der Gebäude bereits baufällig sind, behalten viele noch heute ihre originalen Farben bei (das kann man auf Google Maps, street view nachsehen).

Die von Le Corbusier verwendete Farbpalette für das Mauerwerkt bestand aus diversen Grüntönen (32040 vert anglaise und 31041 vert anglaise clair – siehe Bild 4), intensiven Erdtönen (32120 terre sienna brûlée 31) und Blautönen (32034 céruléen pale) – ein blaugrüner Farbton und gleichzeitig die dritte Farbe von Le Corbusiers “Sky”-Atmosphäre. Es ist bemerkenswert, wie das kontrastreiche Grün und Sienna ein Gefühl von Ruhe und Fülle erzeugen, elegant und dennoch eine Verbindung zur Natur herstellen. Die Palette wirkt geerdet und zeitlos.

Diese reichhaltigste Farbe der Natur bietet eine beeindruckende Balance zwischen Wärme und Kälte. Menschen, die Grün lieben, sind in der Regel sehr sozial in ihrem Charakter: es ist ihnen wichtig, den Respekt von anderen zu gewinnen, sie sind gute Zuhörer, grundsätzlich freundlich und meist eher risikoscheu. Letzteres muss bekanntlich aber nichts unbedingt negativ sein. Ausserdem sind Grün-Liebende zuverlässig und oft Visionäre. Grün ist grundlegend – es steht für unsere Verbindung mit der Natur.

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