Mein Besuch in der strahlenden, vertikalen Stadt

 Die Cité Radieuse aka Unité d’Habitation aka Wohnmaschine von Le Corbusier in Marseille

Marseille, eine Stadt die südliches Flair, eine spannende Geschichte, vorzügliches Essen und auch kulturelle Differenzen und verkannte Schönheit verbindet. Im Herzen der Provence liegt die Hafenmetropole und zweit grösste Stadt Frankreichs. In der Geschichte Marseilles ist zu lesen, wie sie durch den blühenden Handel im 17. Jahrhundert zu einer wichtigen Handelsmacht wurde. Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg zeigte die Stadt Marseille und Ihre BürgerInnen wie stark sie waren und erbauten die Stadt neu. Die Cité Radieuse von Le Corbusier ist Teil dieser «Wiedererstehung». Diese strahlende, vertikale Kleinstadt wurde für den sozialen Zweck gebaut und wissen Sie was? Ich habe mich dort sehr wohl gefühlt!


Auf dem Weg zum «Beton-Klotz»

Die Metro-Linie M2 bringt mich zur Haltestelle «Rond Point du Prado» und meine Reise zu Le Corbusier beginnt! Die Metro-Station befindet sich unweit des bekannten Stade Vélodrome (Heimat des Fussball-Clubs Olympique Marseille) und stellt einen Knotenpunkt im Transportnetz rund um Marseille dar. Maurice Scialom ist der Architekt der Station, welche im Februar 1986 eröffnet wurde. Der Prado-Kreisverkehr wird täglich von 2.400 Fahrzeugen befahren (diese Information musste ich einfach googeln) und die Lautstärke - ein Gemisch aus Autos, Bussen, Fussgängern, Fahrrändern und Mofas – hohlt mich, sobald ich an der Oberfläche auftauche gleich ab. Aus reinem Glück, befinde ich mich schon am Boulevard Michelet und spaziere unter einer Baumreihe in die Richtung, wo die Unité d’Habitation von Le Corbusier, auch Cité Radieuse genannt, steht.

Meine ungeschönte Vorstellung: ein grosser Beton-Klotz mit ein wenig Farbe an den Balkonen und einigen Bäumen rundherum. So schlendere ich also die Strasse entlang und staune über die zahlreichen Bautätigkeiten rund um das geschichtsträchtige Gebäude. Und dann sehe ich Sie, glaube ich zumindest, die Unité d’Habitation von Le Corbusier in Marseille. Die Seitenansicht hinter den Bäumen verspricht meine Annahmen nicht zu enttäuschen, und doch bin ich gespannt, ob sich mir die Cité Radieuse so zeigt, wie sie Le Corbusier geplant hatte.

 

Meine Annahmen werden wiederlegt

Von der Seite her betrete ich bei sonnigen 28 Grad das Grundstück und muss eingestehen – meine Spekulationen werden von dem, was sich mir darbietet eindeutig wiederlegt. Der «Beton-Klotz» eröffnet sich auf eine sanfte und meisterhafte Art. Die immense Grösse wird einem erst klar, wenn man das gesamte Gebäude Le Corbusier’s vor sich sieht. Die Bäume stehen so, dass ein «Erschlagen» nicht möglich ist und die Farben an den Balkonen lockern das Betongebäude auf.

Bevor ich zum Eingang in die Cité Radieuse gehe, begrüsst mich Le Corbusier’s Modulor und ich merke in mir ein Verlangen, das Gebäude unter Denkmalschutz und seit 2016 auch Teil des UNESCO Welterbes, nun endlich zu betreten. Vorbei am Portier und mit dem Lift zu den öffentlich zugänglichen «Strassen» auf den Stockwerken 3 und 4. Im dritten Stock der Wohnmaschine befindet sich die «Geschäftsstrasse». Hier schlendere ich schwärmend am Restaurant und der Hotelbar vorbei, sehe wo eigekauft werden kann, flaniere an der Bücherhandlung vorbei und bewundere die lichtdurchfluteten Räume und wunderbaren Farben.

Mein Besuch auf der strahlende, vertikalen Stadt von Le Corbusier

Was mich aber am Meisten beeindruckt ist die wunderbare und spannende Dachterrasse der Unité d’Habitation in Marseille. Mit dem alten Lift oben angekommen eröffnet sich mir ein unglaublicher Ausblick in Richtung Meer. Wie mag es hier früher, nach dem zweiten Weltkrieg (1943 wurde das gesamte Hafenviertel gesprengt) und zur Bauzeit der Unité ausgesehen haben? Vieles geht mir durch den Kopf, als ich den Blick so schweifen lassen. Kollektives Wohnen in der Nachkriegszeit? Die Tristesse dieser Jahre mit Farbe aufhellen? In die Höhe bauen, wenn es noch keine hohen Häuser gab? Theater, Schule, Restaurant, Laden, Laufbahn und Pool im gleichen Gebäude, wie sich das tägliche familiäre Leben abspielt? Heute wird wieder versucht in den «modernen Gebäuden» eine Vielzahl an Möglichkeiten für die Freizeitgestaltung unter ein Dach zu bringen. Heute, das ist 2020 – das Gebäude von Le Corbusier, auf dessen Dach ich stehe wurde von 1947 bis 1952 gebaut…

Während ich also so über das Dach des Le Corbusier Gebäudes spaziere und mir all die Fragen durch den Kopf gehen, bemerke ich auf einmal, wie wohl ich mich hier fühle. Es ist selten, dass man sich bei einem ersten Besuch in einem Gebäude einfach nur ‘zu Hause’ fühlt. In der Sonne sitzend vergesse ich die Metro-Linie M2, die mich wieder ins Stadtzentrum bringen wird. Ich vergesse die Autos, Fussgänger und Mofas. Ich bin zu tiefst beeindruckt über diese strahlende Stadt von Le Corbusier und Marseille, eine Stadt die bei 28 Grad südliches Flair und spannende Geschichte verbindet.

Le Corbusier Farbe am Beispiel der Unité d’Habitation in Marseille

Der französische Architekt und Architekturhistoriker Pascal Mory, Verantwortlicher für die Reproduktion eines Apartments der Cité Radieuse in Marseille für das Pariser Architekturmuseum erläutert das Farbkonzept Le Corbusier zum Beitrag «The Colours of the Collective» wie folgt:

„Die Nachkriegsarchitektur von Le Corbusier zeichnet sich durch eine kräftige Farbgebung – oft in Form von Farbakzenten – aus. Auch der ‘Béton Brut’, der rohbelassene Beton, spielt in der Verknüpfung mit Farbe eine wichtige Rolle. Mit der Unité d’Habitation kreierte Le Corbusier eine seiner wegweisendsten und bekanntesten Konstruktionen hinsichtlich der Farbgebung.", erzählt Pascal Mory. Weiterhin erklärt er, dass es bis dahin nicht üblich war Beton mit Farbe zu streichen, da die vielen Öffnungen in der Struktur einen Mehrfachanstrich verlangen. Dies um dem Ergebnis eine gewisse Farbtiefe zu verleihen. Mory vermutet, dass Le Corbusier der Erste war, der Farbe und Béton Brut vereinte. Le Corbusier hält dazu, in Bezug auf die Cité Frugès fest:

„[...] Zementputz ist von unerträglicher Tristesse. Zur Aufheiterung musste Farbe eingesetzt werden, besonders auch, um die Häuser voneinander zu entfernen, Perspektiven zu eröffnen, die Umklammerung zu dicht stehender Wände aufzubrechen."

Die Cité Radieuse in Marseille von Le Corbusier

Die Wohneinheit La Cité Radieuse (zu Deutsch: die strahlende Stadt) in Marseille ist von 1947 bis 1952 nach Plänen des Schweiz-Französischen Architekten Le Corbusier (Charles Eduard Jeanneret-Gris) gebaut worden. Sie ist 165 Meter lang, 24 Meter breit und 56 Meter hoch mit 337 Appartements auf 17 Etagen verteilt. Die Unité von Marseille war der «Prototyp» der Unité d’Habitation. Nachfolgend wurden vier weitere Unité d’Habitation in Berlin, Firminy, Rezé (Nantes) und Briey nach dem Vorbild von Marseille erbaut. (Quelle: Le Corbusier: 5 × Unité, von Ottmann, Peter (Hrsg.) von Spector Books)

Die Cité Radieuse in Marseille trägt auch die Namen Unité d’Habitation oder Wohnmaschine. Sie ist Gründungswerk des architektonischen Brutalismus und ein wichtiges Experiment einer neuen Art des Wohnens. Die Unité d’Habitation Le Corbusier’s in Marseille zeigt, dass die Verwendung von Stahlbeton als natürliches Material von gleichem Rang wie Stein, Holz oder Terrakotta möglich ist. Jede der 337 Wohnungen besteht aus zwei Stockwerken, die mit einer Innentreppe verbunden sind. Auf dem Dach befinden sich neben dem Garten und der Terrasse eine Turnhalle, ein offener Raum für Gymnastik, eine 300 m lange Sprintbahn und ein Solarium mit Imbiss. (Quelle: Fondation Le Corbusier)

Die 3. und 4. Etagen sowie das MAMO, ein Kunstzentrum auf der Terrasse, sind öffentlich zugänglich. Die Bewohner der Unité d’Habitation in Marseille sind dankbar, wenn Ihre Privatsphäre auf den weiteren Stockwerken geachtet wird.

Adresse:

Unité d'habitation
Boulevard Michelet 280
13008 Marseille
Frankreich

 

Mehr Informationen unter: 

Fondation Le Corbusier 

Association des Sites Le Corbusier 

Marseille Tourismus

Association des Habitants

 

All Photos: copyright FLC/ADAGP - Les Couleurs Suisse AG, 2019

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